Heft 2/2022 (März 2022)

Abhandlungen

H.-P. Mansel/K. Thorn/R. Wagner:
Europäisches Kollisionsrecht 2021: Digitalisierung als Aufgabe 97

Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Brüsseler Entwicklungen auf dem Gebiet der Justiziellen Zusammenarbeit in Zivil- und Handelssachen in der Zeit von Januar 2021 bis Dezember 2021. Er gibt einen Überblick über die neu erlassenen Rechtsakte und berichtet über aktuelle Projekte sowie neue Instrumente, die sich zurzeit im EU-Gesetzgebungsverfahren befinden und informiert über die deutsche Begleit- und Durchführungsgesetzgebung zu neuen EU-Instrumente. Des Weiteren werden die Bereiche angesprochen, in welchen die EU von ihrer Außenkompetenz Gebrauch gemacht hat. Ausführlich besprochen werden sowohl wichtige Entscheidungen und anhängige Verfahren vor dem EuGH als auch wichtige Entscheidungen deutscher Gerichte, die den Gegenstand des Artikels betreffen. Auch werden aktuelle Projekte und die neuesten Entwicklungen bei der Haager Konferenz für internationales Privatrecht skizziert.

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H. Wais:
Kollektiver Rechtsschutz und das auf unerlaubte Handlungen anwendbare Recht 141

FAO

Sowohl der europäische wie auch der nationale Gesetzgeber haben sich in jüngster Vergangenheit die Förderung des kollektiven Rechtsschutzes für Verbraucher auf die Fahnen geschrieben. Dieser Zielsetzung sollte auch das Kollisionsrecht Rechnung tragen. Geht es um grenzüberschreitenden kollektiven Rechtsschutz bei internationalen Massenschäden, lässt sich durch einen Rückgriff auf Art. 4 Abs. 3 S. 1 Rom II-VO und die Anknüpfung an den gemeinsamen Handlungsort erreichen, dass alle geltend gemachten Ansprüche demselben Recht unterliegen. Dadurch wird die Effektivität des kollektiven Rechtsschutzes gefördert.

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Entscheidungsrezensionen

M. Lehmann:
Lokalisierung von Vermögensschäden und Verbandsklage im Fall unrichtiger Anlegerinformation: Das Urteil des EuGH in der Rechtssache VEB ./. BP (EuGH, Rs. C-709/19, S. 172) 147

Der EuGH hat in der Rechtssache VEB/BP erstmals entschieden, welches Gericht für Schadenersatzklagen wegen unrichtiger, unvollständiger oder unterlassener Informationen auf dem sekundären Finanzmarkt zuständig ist. Daneben ist das Urteil auch für den kollektiven Rechtsschutz von größter Bedeutung. Dieser Beitrag analysiert die Entscheidung, stellt sie in einen größeren Zusammenhang und erörtert ihre Auswirkungen auf zukünftige Fälle.

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M. Pika:
Harte Patronatserklärungen und Wahlschulden nach EuGVVO und Rom I-VO (OLG Brandenburg., S. 175) 159

Das OLG Brandenburg entschied in seinem Urteil vom 25.11.2020 (7 U 147/19) über die Anwendung des besonderen Gerichtstands gemäß Art. 7 Nr. 1 EuGVVO auf harte Patronatserklärungen. Während das Gericht offen ließ, ob lit. a oder b einschlägig ist, entschied es, dass in jedem Fall die Gerichte am Sitz des Patrons zuständig seien. Die Besprechung stimmt diesem Ergebnis zu. Ferner führt sie aus, dass Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVVO angesichts der EuGH-Entscheidung i.S. Kareda (C-249/16) grundsätzlich einschlägig sein kann. 

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B. Hess/A.J. Wille:
Russische Verzugszinsen vor dem deutschen Richter: Ist ein Zinssatz von 37,5% pro Jahresquartal akzeptabel? (LG Frankfurt a.M., S. 177) 164

Das LG Frankfurt am Main spricht unter Anwendung russischen Rechts gegen einen in Deutschland ansässigen Beklagten einen dreimonatigen Zinssatz in Höhe von 37% zu. Bei der Prüfung des ordre public geht das Landgericht von einem geringen Inlandsbezug aus, da es um die Rückzahlung eines in Moskau begebenen Darlehns für eine Investition in Russland ging. Die Verfasser verweisen darauf, dass der Unternehmenssitz des Schuldners in Hessen einen deutlichen Inlandsbezug darstelle. Zudem sollten die Auslegungsmaßstäbe deutscher Gerichte zu Art. 6 EGBGB nicht unbesehen auf die Auslegung der Art. 9 und 21 der Rom I-VO übertragen werden. 

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D. Looschelders:
Konkludente Rechtswahl im Rahmen der EuErbVO – nicht nur ein Übergangsproblem bei gemeinschaftlichen Testamenten (BGH, S. 182) 167

Im Mittelpunkt des Beschlusses des BGH steht die Frage, welche Anforderungen an das Vorliegen einer konkludenten Rechtswahl im Rahmen der EuErbVO zu stellen sind. Der BGH geht mit der in Deutschland herrschenden Meinung davon aus, dass diese Frage unionsautonom zu beurteilen ist. Im konkreten Fall wird eine konkludente Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts unter Bezugnahme auf Erwägungsgrund 39 S. 2 EuErbVO bejaht, weil sich aus dem von der deutschen Erblasserin und ihrem vorverstorbenen österreichischen Ehemann errichteten gemeinschaftlichem Testament ergibt, dass dieses die im deutschen Recht vorgesehene Bindungswirkung haben sollte. Da das gemeinschaftliche Testament vor dem Anwendungsbeginn der EuErbVO errichtet wurde, stellte sich die Frage der konkludenten Rechtswahl im Rahmen einer Übergangsproblematik. Die Entscheidung hat jedoch auch für die Beurteilung von künftigen Fällen konkludenter Rechtswahl bei allen Arten der Verfügung von Todes wegen grundlegende Bedeutung. Auch wenn die vom BGH befürwortete autonome Auslegung im Ergebnis überzeugen kann, ist sie doch keineswegs völlig zweifelsfrei. Daher wäre eine Vorlage an den EuGH erforderlich gewesen. 

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Rezensierte Entscheidungen

7 EuGH 12.5.2021 Rs. C-709/19 Lokalisierung von Vermögensschäden und Verbandsklage im Fall unrichtiger Anlegerinformation: Das Urteil des EuGH in der Rechtssache VEB ./. BP [M. Lehmann, S. 147] 172
8 OLG Brandenburg 25.11.2020 7 U 147/19 Harte Patronatserklärungen und Wahlschulden nach EuGVVO und Rom I-VO [M. Pika, S. 159] 175
9 LG Frankfurt a.M. 26.2.2021 2-14 O 396/18 Russische Verzugszinsen vor dem deutschen Richter: Ist ein Zinssatz von 37,5% pro Jahresquartal akzeptabel? [B. Hess/J. Wille, S. 164] 177
10 BGH 24.2.2021 IV ZB 33/20 Konkludente Rechtswahl im Rahmen der EuErbVO – nicht nur ein Übergangsproblem bei gemeinschaftlichen Testamenten [D. Looschelders, S. 167] 182

Rechtsprechungsübersicht

11 KG Berlin
3.11.2020 – 1 VA 1010/20 186

1. Eine Ehescheidung durch Übereinkunft (hier japanischen Rechts), deren für die Wirksamkeit erforderlicher Anmeldung von der Registerbehörde nur formal geprüft wird, ist eine Privatscheidung, die nur anerkannt werden kann, wenn die Voraussetzungen des aus deutscher Sicht maßgeblichen Scheidungsstatuts erfüllt sind. Sie unterfällt nicht dem Anwendungsbereich der Rom III-VO.

2. Eine Rechtswahl gemäß Art. 17 Abs. 2 EGBGB i.V.m. Art. 5 ff. Rom III-VO setzt zumindest den übereinstimmenden Willen der Ehegatten voraus, ein Recht zu wählen, der in der Urkunde hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht wird; ein nur hypothetischer Willen oder eine bloße Geltungsannahme genügen nicht.

[Leitsätze der Red.]

Blick ins Ausland

M. Reimann:
Human Rights Litigation Beyond the Alien Tort Claims Act: The Crucial Role of the Act of State Doctrine 187

Das Verfahren in Kashef v. Paribas BNP, das gegenwärtig vor den Bundesgerichten in New York anhängig ist, macht deutlich, dass Menschenrechtsklagen gegen Unternehmen in den Vereinigten Staaten nach wie vor eine wichtige Rolle spielen können. Auch nach der Demontierung des Alien Tort Claims Act durch den Supreme Court lässt sich die Zuständigkeit amerikanischer Gerichte oft durchaus begründen. Und auch nach der fast vollständigen Ablehnung bundesrechtlicher Anspruchsgrundlagen durch das Höchste Gericht bleiben Ansprüche nach einzelstaatlichem oder ausländischem Recht möglich, auch wenn sie oft komplizierte Fragen zum anwendbaren Recht aufwerfen.
Die bislang wichtigste Entscheidung im o.g. Verfahren liegt allerdings in der Zurückweisung des potentiell schlagkräftigsten Verteidigungseinwands der beklagten Unternehmen: Das Gericht verweigerte den Beklagten, sich hinter der Act of State Doctrine zu verschanzen. Hauptgrund für deren Ausschluss war, dass die zugrundeliegenden Menschenrechtsverletzungen Verstöße gegen zwingendes Völkerrecht bedeuteten. Mit anderen Worten: Unternehmen, denen Beteiligung an der Verletzung von jus cogens vorgeworfen wird, können sich nicht darauf berufen, dass das zugrundeliegende staatliche Handeln, und damit auch eine Beteiligung daran, der gerichtlichen Überprüfung entzogen ist.
Mit diesem Urteil hat eines der einflussreichsten amerikanischen Gerichte den Befürwortern eines Vorrangs des zwingenden Völkerrechts vor der Act of State Doctrine maßgeblich den Rücken gestärkt. Damit haben sich die Chancen zivilrechtlicher Sanktionen für die Beteiligung an schweren Menschenrechtsverletzungen deutlich verbessert. 

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J. Samtleben:
Paraguay: Rechtswahl für internationale Verträge 194

Als einziges Land hat bisher Paraguay die Haager „Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts" in nationales Recht umgesetzt. Das Gesetz Nr. 5393 von 2015, das sich eng an das Haager Vorbild anschließt, verdankt seine Entstehung vor allem dem Umstand, dass der paraguayische Delegierte im Haag aktiv an der Ausarbeitung der Principles beteiligt war. Anders als diese regelt das paraguayische Gesetz aber auch das Vertragsstatut bei fehlender Rechtswahl im Anschluss an die Interamerikanische Konvention über das auf internationale Verträge anzuwendende Recht von Mexiko 1994. Entgegen der traditionellen Ablehnung der Parteiautonomie in Lateinamerika haben in neuerer Zeit mehrere lateinamerikanische Länder die Rechtswahl im internationalen Vertragsrecht zugelassen. In diese Tendenz reiht sich mit seinem neuen Gesetz auch Paraguay ein, hält aber im Verfahrensrecht weiterhin daran fest, dass die Zuständigkeit der paraguayischen Gerichte durch Parteivereinbarung nicht abbedungen werden kann. 

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