Heft 3/2024 (April 2024)

Aktuelles Heft (zum Probeabo)

Abhandlungen

L. Hübner:
Bestimmung des anwendbaren Rechts für Ansprüche gegen Hersteller im sog. Dieselskandal – zugleich ein Beitrag zur Qualifikation der Wissenszurechnung 173

Neben zahlreichen materiell-rechtlichen Problemen wirft der Diesel-Abgasskandal kollisionsrechtlich intrikate Fragen auf. Für Klagen von im Ausland ansässigen Kläger ist zu klären, welches Recht auf Schadensersatzansprüche gegen die inländischen Hersteller abgasmanipulierter Kfz anwendbar ist. Auf den ersten Blick kommen zahlreiche Anknüpfungsnormen der Rom II-VO für die Ansprüche in Betracht. Im Ergebnis dürfte die allgemeine Kollisionsnorm des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO diese Fälle erfassen. Trotz der grundsätzlichen deliktischen Qualifikation der Herstellerhaftung könnte ein kleiner, aber wesentlicher Aspekt nach deutschem Recht auf Basis des Gesellschaftsstatuts zu beurteilen sein: die Wissenszurechnung. Dieser Frage geht der zweite Teil des Beitrags nach.

J. Croon-Gestefeld:
Der gewöhnliche Aufenthalt an Demenz erkrankter Personen 184

Angesichts des Abhandenkommens von Rechtsstaatlichkeit in einer wachsenden Anzahl von Staaten behandelt der Aufsatz potentiell gefährliche Situationen, die sich aus der Wahl eines Gerichtsstandes oder einer Schiedsklausel ergeben können. Er schildert Lösungsansätze in Rechtsprechung und Literatur zum internationalen Verfahrensrecht und ruft Unternehmen und deren Rechtsberater zu Wachsamkeit und Berücksichtigung möglicher Risiken bei der Vertragsgestaltung auf.

 

Entscheidungsrezensionen

B. Hess:
Implementing Achmea 193

In drei parallelen Entscheidungen vom 27. Juli 2023 hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine einzigartige Vorschrift des deutschen Prozessrechts (§ 1032 Abs. 2 ZPO) genutzt, um die Wirksamkeit von Schiedsklauseln in innergemeinschaftlichen Investitionsstreitigkeiten am Maßstab des Unionsrechts (wie vom EuGH in der Rechtssache C-286/16, Achmea festgelegt) zu überprüfen. In dieser Anmerkung werden die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) im Lichte der jüngsten Entwicklungen des EU-Rechts im Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit und im Kontext der aktuellen Entwicklungen des Investitionsschutzes in der Europäischen Union ausgelegt. Sie zeigt, dass die Vollstreckung von Schiedssprüchen aus EU-internen Investitionsschiedsverfahren letztlich entweder am nationalen Schiedsverfahrensrecht der EU-Mitgliedstaaten oder am EU-Beihilferecht scheitern wird.

A. Junker:
Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht bei Ansprüchen des Arbeitnehmers aus einer Patronatsvereinbarung mit der Konzernobergesellschaft 196

Der Beitrag bespricht eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu den Fragen, ob ein Arbeitnehmer die kanadische Konzernoberg-esellschaft seiner schweizerischen Arbeitgeberin aus einer bürgschaftsähnlichen Patronatsvereinbarung im Arbeitnehmerger-ichtsstand des Art. 21 EuGVVO (Brüssel Ia-Verordnung) in An-spruch nehmen kann, und ob nach Art. 8 Rom I-Verordnung das Ar-beitsvertragsstatut für einen solchen Anspruch einschlägig ist. Der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts folgt einer von ihm initiierten Vorabentscheidung des EuGH vom 20.10. 2022 (C-604/20) und be-jaht beide Fragen. Der Autor hält die Vorabentscheidung des EuGH aus mehreren Gründen für verfehlt.

 

F. Rieländer:
(Nichts) Neues zum Innenausgleich zwischen Haftpflichtversicherern bei Gespannunfällen unter der Rom I-VO und der Rom II-VO 200

Mit Urteil v. 5.7.2023 hat der BGH seine Judikatur zur Bestimmung des auf den Innenausgleich zwischen den Haftpflichtversicherern eines Fahrzeuggespannes anzuwendenden Rechts nachdrücklich bestätigt und in diesem Zusammenhang zugleich die Anforderungen an die tatrichterliche Ermessensausübung bei der Ermittlung ausländischen Rechts nach § 293 ZPO präzisiert. Einmal mehr führt der BGH aus, dass der im deutschen Recht den Regeln der Mehrfachversicherung unterliegende Gesamtschuldnerausgleich zwischen Haftpflicht-versicherern Art. 19 Rom II-VO unterliege, mithin das auf den Versicherungsvertrag zwischen dem zahlenden Versicherer und dessen Versicherungsnehmer nach Art. 7 Rom I-VO anzuwendende Recht auch das Regressstatut stelle. Wiederum erwägt der BGH alternativ auch die Anwendung des Versicherungsvertragsstatuts des in Regress genommenen Pflichtversicherers in „alleiniger“ Anwendung des Art. 7 Rom I-VO. Von einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu der Frage welchem der beiden Lösungswege der Vorzug gebührt, sieht der BGH, wie schon in einer früheren Entscheidung vom 3.3.2021, ab, verweist die Sache vielmehr unter Aufhebung des Berufungsurteils an die Berufungsinstanz zurück, damit dieses nunmehr feststelle, ob die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 lit. b i.V.m. Art. 46d Abs. 1 EGBGB in Bezug auf das rumänische Recht erfüllt sind, dieses also für das Zugfahrzeug und/oder den Auflieger eine Versicherungspflicht für die Haftpflicht zum Unfallzeitpunkt bereits vorgeschrieben und die Anwendung des eigenen Rechts in Fällen mit Auslandsberührung angeordnet hat. Wenngleich die Entscheidung im Ergebnis überzeugt, ist die Ausgangshypothese, dass das für den Regressanspruch maßgebliche Recht entweder nach Art. 19 Rom II-VO oder nach Art. 7 Rom I-VO ohne Rückgriff auf Art. 19 Rom II-VO zu bestimmen ist, keineswegs über jede Kritik erhaben. Abgesehen davon muss noch abschließend geklärt werden, ob Art. 7 Abs. 4 Buchst. b Rom I-VO es den Mitgliedstaaten gestattet, die Anwendung ihres eigenen Rechts nicht bloß auf Pflichtversicherungsverträge, sondern auch auf den als außervertragliches Schuldverhältnis i.S.v. Art. 1 Abs. 1 Rom II-VO zu qualifizierenden Versichererregress einseitig zur Anwendung zu bringen. Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH alsbald die Gelegenheit erhält, zu den sich im Kontext des Regresses zwischen Haftpflichtversicherern stellenden Fragen zur Auslegung der Rom I-VO und der Rom II-VO erneut Stellung zu beziehen und die im ERGO Insurance-Urteil aufgestellten Grundsätze zu präzisieren oder auch zu revidieren.

M. Finkelmeier:
Qualifikation von Nutzungsersatzansprüchen aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis 206

Das Oberlandesgericht Saarbrücken hatte sich mit Nutzungsersatzansprüchen des (deutschen) Eigentümers gegen den (französischen) Besitzer eines Laborfahrzeugs zu befassen. Dabei bot sich dem Gericht die seltene Gelegenheit zur Auseinandersetzung mit der Qualifikation von Ansprüchen aus dem "Eigentümer-Besitzer-Verhältnis" (§§ 987 ff. BGB)

G. Mäsch:
Kluges aus Karlsruhe oder Unsterbliche Blamage II? – Der BGH und die Qualifikation 208

In seiner Entscheidung vom 25. Januar 2022 musste der BGH Stellung beziehen zur richtigen Qualifikationsmethode im europäischen Kollisionsrecht. Das Gericht hatte zu entscheiden, welche Kollisionsnorm auf eine polnische Gesetzesvorschrift über die persönliche Haftung des einzigen Vorstandsmitglieds für die unbezahlten Schulden einer polnischen Gesellschaft anwendbar ist, die sich in einem Insolvenzverfahren an ihrem COMI in Deutschland befindet; zur Auswahl stand das europäische internationale Gesellschaftsrechts, das internationale Insolvenzrecht (EuInsVO) und das internationalen Deliktsrecht (Rom II-VO). Der BGH hat weder selbst eine Entscheidung getroffen noch den EuGH um eine Vorabentscheidung gebeten, sondern die Frage an das Berufungsgericht zurückverwiesen mit der Begründung, dass die Antwort nicht ohne Kenntnis der deliktischen, gesellschafts- oder insolvenzrechtlichen Einordnung der Vorschrift im materiellen polnischen Recht gefunden werden könne. Der Autor kritisiert dieses Vorgehen als Verstoß gegen den Grundsatz der autonomen Auslegung des europäischen Rechts, losgelöst von der Terminologie und den Begriffen des materiellen Rechts der Mitgliedstaaten.

D. Coester-Waltjen:
Ein Entführungsfall mit zwei streitenden Elternteilen auf einem acht Jahre währenden Dauerlauf durch die Gerichte 213

Nach sechs Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen und einer Reihe fachgerichtlicher Entscheidungen der spanischen und der deutschen Gerichte scheint dieser Kindesentführungsfall nun schließlich sein Ende gefunden zu haben – nicht zuletzt dank des Eingreifens der revidierten Verfahrensregelungen in der Brüssel IIb-VO. Die rechtlichen Herausforderungen lagen vor allem in den Zuständigkeitsregelungen nach einer Ablehnung der Rückführung nach dem HKÜ, in der Behandlung mitgliedstaatlicher Entscheidungen, die im Herkunftsstaat zu Unrecht als privilegierte Entscheidungen behandelt wurden, und in der Frage des Vollstreckungsschutzes im Rahmen einer einstweiligen Anordnung des Verfassungsgerichts.

Rezensierte Entscheidungen
(s. Seite III) 220

Blick in das Ausland

Y. Li:
New Private International Law Act of the Republic of Korea 2022 - Focusing on the Rules on International Jurisdiction to Adjudicate 252

Das neue Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Republik Korea (KPILA 2022), dessen Ausarbeitung acht Jahre dauerte, wurde am 4. 1. 2022 verkündet und trat schließlich am 5. 7. 2022 in Kraft. Die größte Bedeutung des KPILA 2022 ist die Einführung zahlreicher detaillierter Regeln zur internationalen Zuständigkeit (im Folgenden „Regeln zur internationalen Zuständigkeit“). Folglich hat das KPILA 2022 eine duale Struktur, wobei ein Flügel die Regeln zur internationalen Zuständigkeit und ein anderer die Regeln zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts enthält. Es wurde dementsprechend als bahnbrechende Änderung bewertet und stellt eine bedeutende Entwicklung in der Geschichte des internationalen Privatrechts der Republik Korea dar. Hinsichtlich ihres materiellen Inhalts weisen die Regeln zur internationalen Zuständigkeit folgende Merkmale auf. Erstens wurden viele von ihnen unter Einbeziehung der Gerichtsstandsbestimmungen innerstaatlicher Gesetze einschließlich der Zivilprossordnung entwickelt. Zweitens spiegeln einige von ihnen die Haltung der Präzedenzfälle des Obersten Gerichtshofs gemäß dem Gesetz zum Internationalen Privatrecht der Korea 2001 wider. Drittens wurden im Streben nach internationaler Konsistenz mehrere Bestimmungen internationaler Dokumente übernommen. Viertens wurden die Kriterien der „ausgerichteten Tätigkeit“ unter Berücksichtigung der breiten Internetnutzung übernommen. Fünftens wurde die Doktrin des forum non conveniens, wie sie im angloamerikanischen Recht verstanden wird, unter strengen Anforderungen akzeptiert.

Mitteilungen
(s. Seite III) 257

Internationale Abkommen
259

Schriftumshinweise
260

Neueste Informationen
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