Heft 4/2025 (Juli 2025)
Brüssel I-Bericht 2025
Am 2.6.2025 hat die Europäische Kommission ihren Bericht über die Anwendung der EuGVVO veröffentlicht (COM(2025) 268 final). Er stützt sich auf eine von Milieu SRL erstellten Studie, die Ergebnisse des Projekts JUDGTRUST sowie die Informationen über die praktische Anwendung der Verordnung, die im Laufe des Jahres 2023 über das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen zusammengetragen wurden.
Spanische Verwaltungsanweisung zur Nichtregistrierung von ausländischen Leihmutterschaften
Im April 2025 hat die Dirección General de Seguridad Jurídica y Fe Pública, eine Direktion des spanischen Justizministeriums, eine Anweisung bezüglich der Registrierung von Geburten im Rahmen von Leihmutterschaften in Spanien erlassen (BOE-A-2025-8647). Demnach dürfen die für die Führung der Personenstandsregister zuständigen Personen nunmehr in keinem Fall eine ausländische Geburtsurkunde, eine einfache Erklärung nebst ärztlichem Attest über die Geburt des Kindes oder ein ausländisches rechtskräftiges Urteil als tauglichen Nachweis für die Eintragung der Geburt und Abstammung von durch Leihmutterschaft geborenen Kindern akzeptieren. Um ein Kind in Spanien zu registrieren, stehen den Personen, die die Elternschaft für ein durch Leihmutterschaft geborenes Kind beanspruchen, daher nunmehr lediglich die üblichen Mittel des spanischen Rechts zur Feststellung einer Elternschaft zur Verfügung: der Nachweis einer biologischen Elternschaft oder die Adoption.
Art. 13 Abs. 2 EuGVVO: Entgeltfortzahlender Dienstherr als Geschädigter bei Direktanspruch gegen den Kfz-Versicherer des Schädigers
EuGH 30.4.2025 – C-536/23 – Bundesrepublik Deutschland ./. Mutua Madrileña Automovilista
Art. 13 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 1 lit. b EuGVVO ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat, der als Dienstgeber das Entgelt eines bei einem Verkehrsunfall verletzten Beamten während dessen Dienstunfähigkeit fortgezahlt hat und in dessen Rechte eingetreten ist, die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungsgesellschaft des in den Unfall verwickelten Fahrzeugs als „Geschädigter“ im Sinne von Art. 13 Abs. 2 EuGVVO nicht vor dem Gericht des Ortes, an dem der Beamte seinen Wohnsitz hat, sondern vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verwaltung, die den Beamten beschäftigt, ihren Sitz hat, verklagen kann, sofern eine unmittelbare Klage zulässig ist.
Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom II-VO erfasst nicht Verstöße gegen das Glücksspielverbot
Schlussanträge des Generalanwalts Nicholas Emiliou beim EuGH 12.6.2025 – C-77/24
- Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom II-VO ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme für „außervertragliche Schuldverhältnisse, die sich aus dem Gesellschaftsrecht […] ergeben,“ nicht ein angebliches „außervertragliches Schuldverhältnis“ des Geschäftsführers einer Gesellschaft umfasst, das sich aus dem Verstoß gegen eine Pflicht oder ein Verbot ergibt, die bzw. das dem Geschäftsführer unabhängig von seiner Bestellung gesetzlich auferlegt ist, wie etwa das für jedermann geltende Verbot, Glücksspiele in einem bestimmten Mitgliedstaat ohne eine von den Behörden dieses Staates erteilte Konzession anzubieten.
- Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO ist dahin auszulegen, dass in Fällen, in denen ein Verbraucher geltend macht, Glücksspielverluste erlitten zu haben, weil er von dem Mitgliedstaat seines gewöhnlichen Aufenthalts aus an Online-Glücksspielen teilgenommen habe, die ihm von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Anbieter ohne eine von den Behörden des erstgenannten Staates erteilte Konzession angeboten worden seien, der „Schaden“ im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO in dem erstgenannten Staat – als demjenigen Land, von dem aus die Spieleinsätze getätigt wurden – eintrat.
Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO und Erwerb von Finanzprodukten
Schlussanträge des Generalanwalts Rimvydas Norkus beim EuGH 22.5.2025 – C-279/24
Die Rechtsfolgen von Aufträgen zum Erwerb von Finanzprodukten, die ein im Staat A wohnhafter Verbraucher aufgrund einer ständigen Geschäftsbeziehung einer im Staat B ansässigen Bank erteilt, sind nach dem Recht zu beurteilen, das die Parteien in dem Vertrag bestimmt haben, mit dem die Geschäftsbeziehung begründet wurde, auch wenn die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO nach Abschluss dieses Vertrags eintreten und bei Erteilung der einzelnen Aufträge erfüllt sind.
Art. 1 Abs. 1 EVÜ und Art. 1 Abs. 1 Rom II-VO: Schadensersatz aufgrund Abbruchs dauerhafter Geschäftsbeziehungen wegen wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens
Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation (Frankreich) 22.4.2025 – C-298/25
Sind Art. 1 Abs. 1 EVÜ und Art. 1 Abs. 1 Rom II-VO dahin auszulegen, dass eine Schadensersatzklage wegen des abrupten Abbruchs dauerhafter Geschäftsbeziehungen, die anhand von Rechtsvorschriften zur Regelung von als wettbewerbsbeschränkend eingestuften Verhaltensweisen und damit anhand einer gesetzlichen Verpflichtung, von einer bestimmten Art von Verhalten abzusehen, beurteilt wird, eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, zum Gegenstand hat, und zwar unabhängig von den vertraglichen Beziehungen, die möglicherweise zwischen den Parteien eingegangen wurden?
EuInsVO 2017: Rechtshängigkeitskonflikt insolvenzrechtlicher Prüfungsklagen
Vorabentscheidungsersuchen des LG Linz (Österreich) 18.4.2025 – C-292/25
(i) Ist Art. 6 EuInsVO 2017 dahin gehend auszulegen, dass bei einem in Österreich anhängigen Insolvenzverfahren Österreich für eine Prüfungsklage nach österreichischem Recht auch dann ausschließlich zuständig ist, wenn in Deutschland zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits eine Klage über den selben Anspruch anhängig ist und dieses Verfahren – nach deutschem Recht – als Prüfungsprozess fortgesetzt werden kann, dieses also das Ziel einer (bindenden) Feststellung einer Forderung gegenüber dem Insolvenzverwalter und der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger zum Zwecke der Anmeldung in einem Insolvenzverfahren verfolgt?
Wenn (i) verneint wird:
(ii) Ist Art. 32 Abs. 2 EuInsVO 2017 dahin gehend auszulegen, dass in einem in Österreich anhängigen Insolvenzverfahren das Ergebnis eines in Deutschland als Prüfungsprozess fortgesetzten Verfahrens, das das Ziel einer (bindenden) Feststellung einer Forderung gegenüber dem Insolvenzverwalter und der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger zum Zwecke der Anmeldung in einem Insolvenzverfahren verfolgt, im Insolvenzverfahren mit der Folge anzuerkennen ist, dass Bestand und Höhe der Forderung (nicht) festgestellt sind?
Wenn (ii) beantwortet und bejaht wird:
(iii) Ist Art. 18 EuInsVO 2017 dahin gehend auszulegen, dass der Führung einer Prüfungsklage über einen Anspruch nach österreichischem Recht die Rechts- bzw. Streitanhängigkeit entgegensteht, wenn in Deutschland eine Klage über denselben Anspruch anhängig ist, welche – nach deutschem Recht – als Prüfungsprozess fortgesetzt werden kann und damit das Ziel einer gegenüber dem Insolvenzverwalter und der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger (bindenden) Feststellung des Bestehens einer (Insolvenz-)Forderung zum Zwecke ihrer Anmeldung in einem Insolvenzverfahren verfolgt?
Art. 5 Nr. 3 EuGVVO 2001: Internationale Zuständigkeit bei Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch einen Film (Dreh- oder Ausstrahlungsort)
Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) 27.3.2025 – C232/25
- Ist Art. 5 Nr. 3 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 11 und 12 EuGVVO 2001 dahin auszulegen, dass in einer Angelegenheit, in der es um die Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch den Inhalt eines Filmwerks geht, die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem der Film ausgestrahlt wurde, der ein anderer Staat ist als der, in dem der Film produziert worden ist, international zuständig sind für die Entscheidung über eine Klage: a) auf nicht-monetäre Entschädigung, die darauf abzielt, die Folgen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten zu beseitigen, einschließlich der Anordnung, auf den Fernsehkanälen, auf denen der Film ausgestrahlt wurde, unabhängig davon, wo diese ausgestrahlt wurden, und auf Internetseiten um Entschuldigung zu bitten, sowie der Anordnung, vor jeder Ausstrahlung des Films, unabhängig vom Ausstrahlungsort, eine Erklärung mit entsprechendem Inhalt abzugeben, oder
- b) auf monetäre Entschädigung zum Ausgleich des gesamten immateriellen Schadens, der durch die Verletzung von Persönlichkeitsrechten im Zusammenhang mit der Verbreitung (Ausstrahlung) des Films in anderen Mitgliedstaaten entstanden ist,
unter Berücksichtigung dessen, dass:
- die Kläger ihren Interessenschwerpunkt und ihren Wohnsitz (Sitz) in diesem Mitgliedstaat haben,
- die Kläger die Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte mit der Art und Weise in Verbindung bringen, in der Soldaten der militärischen Formation dieses Mitgliedstaats ([Streichung im Original]) in dem Film dargestellt werden, wobei einer der Kläger ein ehemaliger Soldat dieser militärischen Formation ist und der andere eine Vereinigung ehemaliger Soldaten dieser militärischen Formation, deren satzungsmäßiger Zweck insbesondere darin besteht, die Erinnerung, die historische Wahrheit und die Würde dieser Formation zu verteidigen;
- der Inhalt des Films, einschließlich der Art und Weise, in der die Soldaten der genannten militärischen Formation ([Streichung im Original]) dargestellt werden, im historischen, kulturellen und sozialen Kontext dieses Mitgliedstaats objektiv bedeutsam ist?
- Falls die Frage 1 verneint wird: Ist Art. 5 Nr. 3 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 11 und 12 EuGVVO 2001 dahin auszulegen, dass in einer Angelegenheit, in der es um die Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch den Inhalt eines Filmwerks geht, die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem der Film gedreht wurde, der ein anderer Staat ist als der, in dem der Film hergestellt wurde, international zuständig sind für die Entscheidung über eine Klage: a) auf nicht-monetäre Entschädigung, die darauf abzielt, die Folgen der Verletzung der Persönlichkeitsrechte zu beseitigen, die im Zusammenhang mit der Ausstrahlung des Films im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem die Klage erhoben wird, begangen wurde, einschließlich der Anordnung, in diesem Staat um Entschuldigung zu bitten, und der Anordnung, vor jeder Ausstrahlung des Films in diesem Staat eine Erklärung mit entsprechendem Inhalt abzugeben, oder
- b) auf monetäre Entschädigung zum Ausgleich des gesamten immateriellen Schadens, der durch die Verletzung von Persönlichkeitsrechten im Zusammenhang mit der Verbreitung (Ausstrahlung) des Films in dem Mitgliedstaat, in dem die Klage erhoben wird, entstanden ist, gegebenenfalls unter Berücksichtigung der in Frage 1 Gedankenstriche 1 bis 3 genannten Umstände?
Ungültigkeitserklärung einer Ehe iSv Art. 19 Abs. 1 EuEheVO, Lateranvertrag und italienisches Delibationsverfahren
Vorabentscheidungsersuchen des OLG Stuttgart 10.3.2025 – C-190/25
- Ist das italienische Delibationsverfahren vor dem zuständigen Corte d'Appello in Neapel nach Art. 8 Abs. 2 des Vertrags vom 18. Februar 1984 zwischen dem Heiligen Stuhl und der Italienischen Republik, mit dem der Lateranvertrag vom 11. Februar 1929 geändert worden ist, ein Verfahren auf Ungültigkeitserklärung einer Ehe im Sinne von Art. 19 Abs. 1 EuEheVO 2003?
- Sofern Frage 1 zu bejahen ist: Ist es einem Gericht in Deutschland, das wegen einer auszusprechenden Scheidung zuerst angerufen worden ist, gestattet, sein Verfahren nach nationalen Vorschriften entgegen Art. 19 Abs. 1 EuEheVO 2003 zu Gunsten des zweitangerufenen Gerichts, das über ein Delibationsverfahren zu entscheiden hat, auszusetzen?
Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO bzw. Art. 4, Art. 11 Rom I-VO und Übertragung von Nutzungsrechten an Lichtbildern
Vorabentscheidungsersuchen des OLG Düsseldorf 4.3.2025 – C-176/25
- Ist Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO dahingehend auszulegen, dass das Recht des Staates, für das Schutz beansprucht wird, auch auf die Frage der (Form-)Wirksamkeit der Übertragung von ausschließlichen Nutzungsrechten an Lichtbildern vom Urheber auf den Nutzungsberechtigten Anwendung findet?
- Falls die Frage 1. verneint wird: Ist für die Frage der (Form-)Wirksamkeit der Übertragung von ausschließlichen Nutzungsrechten an Lichtbildern vom Urheber auf den Nutzungsberechtigten das Vertragsstatut maßgeblich und somit Art. 4, Art. 11 Rom I-VO anwendbar?
Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB: Online-Heirat als Inlandsehe
VG Berlin 11.3.2025 – VG 29 K 101/24
- Bei einer Online-Eheschließung vor einem Reverend in Utah, USA, mittels Videoübertragung der Nupturienten aus Deutschland handelt es sich im Sinne des Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB um eine Ehe im Inland, die nur in der in Deutschland vorgeschriebenen Form geschlossen werden kann.
- Erkennt ein EU-Mitgliedstaat eine im Ausland geschlossene Ehe als wirksam an, trägt diese in sein nationales Personenstandsregister ein und stellt eine Eheurkunde aus, ist dieses Ehe-Anerkenntnis aufgrund der EU-Apostillenverordnung für deutsche Behörden bindend.
Veranstaltungshinweise
- Vom 11. bis zum 13.9.2025 veranstaltet die International Association of Procedural Law (IAPL) ihr jährliches Kolloquium zum Thema „Judicial Efficiency Revisited“. Das Kolloquium wird in Zusammenarbeit mit der Ibero-American Association of Procedural Law (IIDP) organisiert und wird an der juristischen Fakultät der Universität Zagreb stattfinden. Weitergehende Informationen unter https://iaplcolloquium2025.pravo.hr/