Heft 6/2018 (November 2018)

Abhandlungen

D. Martiny:
Virtuelle Währungen, insbesondere Bitcoins, im Internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht 553

Virtuelle Währungen, wie insbesondere Bitcoins, sind nichtstaatliche und mengenmäßig begrenzte Ersatzwährungen. Während die sachrechtliche Debatte um die Einordnung der dabei verwendeten Distributed Ledger Technology in vollem Gange ist, steht die kollisionsrechtliche Einordnung der einzelne Elemente Blockchain, Smart Contracts und Token erst am Anfang. Einzuordnen ist auch das zunehmend verwendete „Erste Angebot einer Coin“ (Initial Coin Offering).

Die Qualifikation des digitalen Währungsprodukts führt zu einer schuldvertraglichen Einordnung. Verträge, deren Gegenstand virtuelle Währungseinheiten sind, unterliegen regelmäßig der Rom I-Verordnung. Die Währung ist hauptsächlich eine Frage des Vertragsstatuts.

Inländische finanzmarktrechtliche Handelsbeschränkungen nach dem Kreditwesengesetz (KWG) können als Eingriffsnorm eingreifen (Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO). Auch ausländische Beschränkungen können Beachtung finden (Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO). Die Zuständigkeit für vertragliche Streitigkeiten richtet sich nach dem Erfüllungsort bzw. Ort des schädigenden Ereignisses gem. Artikel 7 Nr. 1, 2 EuGVVO.

A.S. Zimmermann:
Blockchain-Netzwerke und Internationales Privatrecht – oder: der Sitz dezentraler Rechtsverhältnisse 566

Die ubiquitäre Verfügbarkeit des world wide web verändert den internationalen Wirtschaftsverkehr nachhaltig. Das Recht hat sich in diesem Zusammenhang oft als erstaunlich flexibel erwiesen und für zahlreiche Entwicklungen einen sinnvollen Rahmen bereitgestellt. Gerade das Kollisionsrecht wird durch den Dezentralismus der digitalen Welt herausgefordert. Wie das Beispiel der Blockchain-Netzwerke zeigt, kann das Internationale Privatrecht jedoch auch neue Erscheinungen einem adäquaten rechtlichen Ordnungssystem zuweisen.

M. Lieberknecht:
Die Blocking-Verordnung: Das IPR als Instrument der Außenpolitik 573

Der transatlantische Konflikt um den richtigen Umgang mit dem Iran hat einem totgeglaubten Rechtsinstrument eine Renaissance beschert: der europäischen Blocking-VO, welche europäische Unternehmen gegen den extraterritorialen Wirkungsanspruch des US-Sanktionsregimes abschirmen soll. Der vorliegende Beitrag analysiert die Inhalte und Wirkungen der Verordnung aus privatrechtlicher Sicht. Für den Umgang mit den geblockten US-Sanktionen als Eingriffsnormen kommt er zu dem Ergebnis, dass die Verordnung lediglich die bisherige Rechtslage bekräftigt. Das Verbot, die fraglichen US-Normen zu befolgen schafft für die betroffenen Unternehmen ein juristisches Dilemma und für ihre Leitungsorgane ein erhöhtes Haftungsrisiko. Zugleich bewirkt es fragwürdige Ergebnisse im Sachrecht und kann überdies zur Unzulässigkeit von geläufigen Kautelarlösungen führen. Schließlich untersucht der Beitrag Rechtsnatur und Reichweite des clawback-Anspruchs, welcher den Ersatz sanktionsbedingter Schäden ermöglichen soll. Legt man ein deliktisches Verständnis und eine weite Auslegung zugrunde, könnte der Anspruch eine Haftung Privater begründen, dabei allerdings keinesfalls eine Neutralisierung der Sanktionsfolgen insgesamt leisten. Letzteres lässt sich über die gesamte Verordnung sagen: Nicht nur bietet diese keinen effektiven Schutz gegen das US-Sanktionsregime, sie stellt die Betroffenen sogar bedeutend schlechter, indem sie massiven Gegendruck ausübt und in vielen Fragen zusätzliche Rechtsunsicherheit schafft.

S. Bajrami/M. Payandeh:
Die innerstaatliche Anerkennung ausländischer Gerichtsentscheidungen im Lichte der völkerrechtlichen Nichtanerkennungspflicht 580

Für die innerstaatliche Anerkennung einer ausländischen Gerichtsentscheidung ist es regelmäßig irrelevant, ob die anzuerkennende Gerichtsentscheidung im Einklang mit dem Völkerrecht erlassen wurde. Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht knüpft primär an die faktisch effektive Ausübung von Hoheitsgewalt an. Dieser Ansatz erscheint indes zweifelhaft, soweit die Gerichtsentscheidung, die anerkannt werden soll, die Folge einer unter Verletzung des Gewaltverbots zustande gekommenen territorialen Verschiebung ist, wie etwa der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und der Stadt Sewastopol durch Russland. Denn in diesem Fall begründet das Völkerrecht eine gewohnheitsrechtliche Pflicht aller Staaten zur Nichtanerkennung der völkerrechtswidrigen Situation. Der vorliegende Beitrag beleuchtet dieses Spannungsverhältnis und kommt zu dem Ergebnis, dass die innerstaatliche Anerkennung ausländischer Gerichtsentscheidungen regelmäßig nicht gegen die völkerrechtliche Nichtanerkennungspflicht verstößt.

M. Gebauer:
§ 1371 Abs. 1 BGB und das deutsch-türkische Nachlassabkommen im Sog der erbrechtlichen Qualifikation 586

Die erbrechtliche Qualifikation des § 1371 BGB durch den EuGH im Rahmen der EuErbVO wird deutsche Gerichte in Zukunft auch jenseits des Europarechts bei der Interpretation des deutsch-türkischen Nachlassabkommens im Zusammenspiel mit den angrenzenden güterrechtlichen Kollisionsnormen dazu zwingen, die deutsche Sachnorm erbrechtlich einzuordnen.

Entscheidungsrezensionen

J.A. Bischoff:
Ein Sturm im Wasserglas? Zur Zukunft der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nach Achmea v. Slovakia (EuGH S. 609) 588

In seinem Urteil vom 6.3.2018 hat der EuGH Investitionsschiedsverfahren für mit Art. 267, 344 AEUV unvereinbar erklärt, sofern sie auf einem bilateralen Investitionsschutzvertrag zwischen zwei Mitgliedstaaten beruhen und der Sitz des Schiedsverfahrens in der Union liegt. Der EuGH weicht damit von den Schlussanträgen des Generalanwaltes vom 19.9.2017 ab. Auch wenn das Urteil für Rechtssicherheit in Bezug auf unionsinterne bilaterale Investitionsschutzverträge sorgt, wirft es neue Fragen für den Energiecharta-Vertrag sowie Investitionsschutzverträge mit Drittstaaten auf. Sofern der Schiedsort außerhalb der Union liegt oder ICSID-Regeln Anwendung finden, droht eine uneinheitliche Vollstreckungspraxis.

D. Looschelders:
Internationale Zuständigkeit für die Auseinandersetzung von Miteigentum bei ehegüterrechtlichem Bezug (EuGH, S. 613 und S. 616) 591

Der EuGH hat sich in neuerer Zeit in zwei Entscheidungen mit der internationalen Zuständigkeit für die Auseinandersetzung von Miteigentum beschäftigt. Während der EuGH in der Rechtssache Komu u.a. für einen Rechtsstreit zwischen den Miteigentümern von zwei in Spanien belegenen Grundstücken über die Auflösung der Miteigentümergemeinschaft die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte am Lageort der Grundstücke bejaht hat, ist die Kammer in der Rechtssache Iliev bei einem Rechtsstreit zwischen geschiedenen Ehegatten über die Teilung einer während der Ehe erworbenen beweglichen Sache zu dem Ergebnis gelangt, dass der Rechtsstreit die „ehelichen Güterstände“ betrifft und daher nach Art. 1 Abs. 2 lit. a EuGVVO nicht in den Anwendungsbereich der EuGVVO fällt. Der Beitrag analysiert die Entscheidungen und arbeitet das dahinter stehende Spannungsverhältnis zwischen Sachstatut und Ehegüterstatut heraus. Dabei werden die künftige Rechtslage nach der EuGüVO und die parallele Problematik nach der EuErbVO einbezogen. Insgesamt stellt der Verfasser eine Tendenz des europäischen Kollisionsrechts fest, die Belegenheit der Vermögensgegenstände gegenüber dem Güter- und Erbstatut zurücktreten zu lassen.

A. Wolf:
Schiedsvereinbarungen bei Kartellschadensersatzklagen (LG Dortmund, S. 617) 594

Das Urteil des LG Dortmund vom 13.9.2017 (8 O 30/16 [Kart]) hat die Bestimmung der sachlichen Reichweite von Schiedsvereinbarungen bei einer Schadensersatzklage im Zusammenhang mit dem „Schienenkartell“ zum Gegenstand. Nach Auffassung des LG Dortmund umfassten die streitgegenständlichen Schiedsvereinbarungen zwischen den Prozessparteien, die die beiden Vertragsparteien einer Lieferbeziehung waren, auch Schadensersatzklagen wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV. Hierfür legte es die Schiedsvereinbarungen im Einklang mit der bisherigen deutschen Rechtsprechung sehr weit aus. Im Hinblick auf die dadurch begründete Schiedseinrede und ihre Wirkung berücksichtigte es das Effektivitätsprinzip des Unionsrechts nicht ausreichend, das nach der Rechtsprechung des EuGH insbesondere in den Rechtssachen „Courage“ (C-453/99) und „Manfredi“ (C-295/04) bei der Anwendung mitgliedsstaatlicher Verfahrensvorschriften zu beachten ist. Ferner lehnte das LG Dortmund die Übertragung der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache „CDC“ (C-352/13) zu allgemein formulierten Gerichtstandsklauseln im Sinne von Art. 25 EuGVVO auf Schiedsvereinbarungen ab. Auch wenn dem Urteil ein rein nationaler Sachverhalt zugrunde lag, ist es sowohl für internationale Schiedsverfahren als auch für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen wegen Verletzung des EU-Wettbewerbsrechts in Deutschland von Bedeutung.

L. Rademacher:
Prozessualer Verbraucherschutz gegenüber Rechtsanwälten (BGH, S. 620 und OLG Düsseldorf, S. 624) 600

In einer Welt offener Gesellschaften steigt der Bedarf an grenzüberschreitender Rechtsberatung. Dies gilt für rechtsratsuchende Unternehmen ebenso wie für Verbraucher. Das Angebot an kompetenter inländischer Auslandsrechtsdienstleistung ist indes gering. Nicht selten werden sich Verbraucher deshalb veranlasst sehen, einen ausländischen Rechtsanwalt zu mandatieren, der in derjenigen Rechtsordnung ausgebildet und niedergelassen ist, zu der der grenzüberschreitende Sachverhalt einen Bezug aufweist. Wenn es im Zuge eines solchen Mandats zu Streitigkeiten zwischen dem inländischen Verbraucher und dem mandatierten ausländischen Rechtsanwalt kommt, wirft dies die Frage auf, welche Gerichte für etwaige Verfahren international zuständig sind. Das europäische Zivilverfahrensrecht sieht zum Schutz des Verbrauchers bei vertragsbezogenen Streitigkeiten besondere internationale Zuständigkeiten vor und schränkt zugleich die Prorogationsmöglichkeiten ein. Die Anwendung der prozessualen Verbraucherschutzvorschriften ist jedoch an über den bloßen Verbrauchervertrag hinausgehende Voraussetzungen geknüpft. Bei einem Anwaltsvertrag kommt es darauf an, ob die folgenden räumlich-situativen Kriterien nach Art. 17 Abs. 1 lit. c EuGVVO 2015 / Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO 2001 / Art. 15 Abs. 1 lit. c LugÜ 2007 erfüllt sind: Der Unternehmer (Rechtsanwalt) muss in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher (Mandant) seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausüben oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat ausrichten und der Vertrag muss in den Bereich dieser Tätigkeit fallen. Zur Auslegung dieser Kriterien, denen auch im Kollisionsrecht herausgehobene Bedeutung zukommt, hat der EuGH wiederholt Stellung genommen. Die Entscheidungsrezension bespricht einen Beschluss des OLG Düsseldorf und ein Revisionsurteil des BGH, die für die im unterschiedlichen Maße gelungene Anwendung dieser Vorgaben stehen.

H. Roth:
Ordnungsgemäße Zustellung und ausreichende Wahrnehmung der Verteidigungsmöglichkeit des Beteiligten als kumulative Erfordernisse für die Anerkennung nach § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG (OLG Stuttgart, S. 626) 606

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart legt § 109 Abs.1 Nr.2 FamFG in Anlehnung an die Parallelvorschrift von § 328 Abs.1 Nr.2 ZPO aus. Danach bilden ordnungsgemäße Zustellung und ausreichende Wahrnehmung der Verteidigungsmöglichkeit des Beteiligten kumulative Erfordernisse für die Anerkennung. Der Beschluss orientiert sich mit Recht nicht an den abweichenden Modellvorstellungen europäischen Sekundärrechts, wie etwa Art. 45 Abs.1 lit. b EuGVVO 2015.

Rezensierte Entscheidungen

47 EuGH 6.3.2018 Rs. C-284/16 Ein Sturm im Wasserglas? Zur Zukunft der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit nach Achmea v. Slovakia [J. A. Bischoff, S. 588] 609
48, 49 EuGH 17.12.2015, 14.6.2017 Rs. C-605/14, Rs. C-67/17 Internationale Zuständigkeit für die Auseinandersetzung von Miteigentum bei ehegüterrechtlichem Bezug [D. Looschelders, S. 591] 613, 616
50 LG Dortmund 13.9.2017 8 O 30/16 [Kart] Schiedsvereinbarungen bei Kartellschadensersatzklagen [A. Wolf, S. 594] 617
51, 52 BGH, OLG Düsseldorf 6.7.2017, 30.3.2017 IX ZR 38/16, I-3 W 242/16 [Prozessualer Verbraucherschutz gegenüber Rechtsanwälten L. Rademacher, S. 600] 620, 624
53 OLG Stuttgart 18.5.2017 17 VA 1/16 Ordnungsgemäße Zustellung und ausreichende Wahrnehmung der Verteidigungsmöglichkeit des Beteiligten als kumulative Erfordernisse für die Anerkennung nach § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG [H. Roth, S. 606] 626

Blick in das Ausland

P. Ostendorf:
Anforderungen an einen genuinen Auslandsbezug bei der Rechtswahl im Europäischen Kollisionsrecht 630

 

Auf Grundlage von Art. 3 Abs. 3 des Europäischen Schuldvertragsübereinkommens (EVÜ) bzw. der Nachfolgevorschrift in Art. 3 Abs. 3 Rom I-Verordnung können die Parteien eines rein inländischen Vertrages weder mit Hilfe einer Rechtswahlvereinbarung, noch durch die Wahl eines ausländischen Gerichtsstandes den (auch einfach) zwingenden Vorschriften ihrer Heimatrechtsordnung entkommen. Englische Gerichte hatten kürzlich darüber zu entscheiden, ob im Fall von zwischen einer italienischen Bank und einer italienischen Kommune abgeschlossenen Zins-Swap-Verträgen (die eine Wahl englischen Rechts sowie einen englischen Gerichtsstand vorsahen) ein hinreichender Auslandsbezug für eine kollisionsrechtlich zulässige Rechtswahl vorlag.

Im Gegensatz zum High Court haben sowohl der Court of Appeal, als auch der Supreme Court die Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 3 EVÜ unter anderem mit der Berufung darauf abgelehnt, dass die Bank den Mustervertrag einer internationalen Handelsorganisation verwendet habe. Diese Auffassung widerspricht im Ergebnis allerdings sowohl einer systematischen, als auch einer teleologischen Auslegung von Art. 3 Abs. 3.

Z. Meškić/A. Duraković/J. Alihodžić:
Bosnien und Herzegowina als ein Mehrrechtsstaat 633

Bosnien und Herzegowina gliedert sich in zwei Entitäten, die Föderation von Bosnien und Herzegowina und Republika Srpska sowie in ein Distrikt Brčko mit fast umfassender Zuständigkeit für das Privatrecht. Somit gibt es neben einigen wenigen privatrechtlichen Gesetzen auf gesamtstaatlicher Ebene drei privatrechtliche Teilrechtsordnungen in Bosnien und Herzegowina. Der vorliegende Beitrag zeigt einige Unterschiede zwischen den Teilrechtsordnungen auf und erklärt die Entwicklung des interlokalen Kollisionsrechts in Bosnien und Herzegowina, die unabhängig vom internationalen Privatrecht erfolgt ist. Für Familien-, Status- und Erbsachen gilt ein einheitliches Gesetz über interlokale Gesetzeskonflikte, während es in anderen Privatrechtsbereichen keine einheitlichen Regelungen gibt. Die Lösungen für interlokale Gesetzeskonflikte in den relevantesten Privatrechtrechtsgebieten werden kritisch dargestellt.

Materialien

Mitteilung

H. Kronke:
Auf dem Weg zu einer norwegischen Kodifizierung des Schuldrechts-IPR 642

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