Inhalt des IPRax-Hefts 2/2012 (März 2012)

Bernd von Hoffmann † 109

Abhandlungen

G. Hohloch
Die „Bereichsausnahmen“ der Rom II-VO Zum Internationalen Privatrecht in und um Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO 110

Die Rom II-VO gilt laut ihrem Art. 1 für „außervertragliche Schuldverhältnisse“; ausgenommen von ihrer Geltung sind die Ausnahmebereiche („Bereichsausnahmen“) des Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO. Der Beitrag befasst sich mit der Regelung des Art. 1, insbesondere mit der Abgrenzung der Ausnahmebereiche. Diese betreffen sehr unterschiedliche Sachverhalte; ihre Zusammensetzung wird im nachfolgenden Beitrag aufgeklärt, ebenso werden die Fragen beantwortet, welche Kollisionsregeln im Lichte des insoweit geltenden „europäischen“, nicht mehr bloß deutschen Qualifikationsverständnisses für die einzelnen Ausnahmebereiche Geltung haben. Soweit für sie vereinheitlichtes europäisches Kollisionsrecht („Rom I–III“) nicht oder noch nicht („Rom IV, V“) besteht, unterliegen diese Sachverhalte, unbeschadet ihrer Eingrenzung auf der Grundlage gemeinschaftsrechtlichen Verständnisses, weiterhin dem „nationalen“ Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten der Union, das dem im jeweiligen Mitgliedstaat jeweils vorhandenen Bestand zu entnehmen ist. Wie es bei „außervertraglichen Schuldverhältnissen“ aussieht, hängt von der unterschiedlichen oder gar unterlassenen Anpassungsgesetzgebung der einzelnen Mitgliedstaaten ab. Der Beitrag gibt diese nationalen Reaktionen und ihre Bedeutung im Verhältnis zu den deutschen Lösungen ebenfalls wieder.

D. Martiny
Lex rei sitae as a connecting factor in EU Private International Law 119

Die Belegenheit ist eine der klassischen Anknüpfungen im Internationalen Privatrecht, insbesondere im Sachenrecht. Im europäischen Kollisionsrecht, das vor allem in einzelnen Verordnungen geregelt ist, spielt die lex rei sitae als Anknüpfungspunkt nur eine eingeschränkte Rolle. Sachenrechtliche Fragen fallen in der Regel nicht in den Anwendungsbereich der Verordnungen. Im internationalen Zivilprozessrecht ist die Belegenheit von Immobilien Grundlage für eine ausschließliche Zuständigkeit. Es ist jedoch schwierig, zwischen den Auswirkungen der einzelnen Beziehungen im Vertragsrecht, Erb- und Güterrecht und den eigentlich sachenrechtlichen Fragen zu trennen. Im internationalen Vertragsrecht hat die Belegenheit nur eine geringere Bedeutung im Rahmen der Form des Vertrages und der Eingriffsnormen. Angesichts des Fehlens von harmonisiertem Sachenrecht ergeben sich vor allem im Zusammenhang mit besitzlosen Sicherungsrechten Probleme, wenn belastete Vermögensgegenstände die Grenze überqueren. Die Fülle der Probleme, die sich aus der Änderung des anwendbaren Rechts und der Anerkennung ausländischer Sicherungsrechte ergeben, legt es nahe, dass die Schaffung eines zusätzlichen einheitlichen Sicherungsrechts erfolgreicher sein dürfte als eine auf das Internationale Privatrecht beschränkte Lösung.

Die EU-Verordnungsvorschläge für das Erb- und Ehegüterrecht sind dem gespaltenen oder dualistischen Ansatz mit seiner Trennung zwischen Personalstatut (und Mobiliarvermögen) und Immobilien, die der lex rei sitae unterliegen, für das eheliche Güterrecht und Erbrecht nicht gefolgt. Allerdings ist es in einem bestimmten Umfang notwendig, dass das Recht der Belegenheit des Vermögens angewendet oder zumindest berücksichtigt wird. Dingliche Eigentumsrechte, die Übertragung von Grundstücken und Grundbücher müssen aus dem Anwendungsbereich der EU-Regelungen ausgeschlossen bleiben, solange es kein einheitliches Recht gibt. Für einige Einzelfragen ist eine besondere Verbindung zu dem Ort der Belegenheit des Vermögens angemessen. Im Hinblick auf die Rechtssicherheit und die Erwartungen der Parteien sind genaue Definitionen von besonderer Wichtigkeit.

C. Reithmann
Urkunden ausländischer Notare in inländischen Verfahren 133
T. Nehne
Die Internationale Geschäftsführung ohne Auftrag nach der Rom II-Verordnung – Anknüpfungsgegenstand und Anknüpfungspunkte 136

Die Kollisionsnormen der Rom II-Verordnung sind mittlerweile Gegenstand einer Vielzahl von Abhandlungen in verschiedenen Sprachen und Ländern. Die meisten unter ihnen schenken Art. 11 Rom II-VO vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit. Daher widmet sich dieser Beitrag spezifischen Fragen des Anknüpfungsgegenstands und der Anknüpfungspunkte der europäischen Internationalen Geschäftsführung ohne Auftrag. Zunächst werden Qualifikationsfragen bei der kollisionsrechtlichen Arbeit mit GoA-Auslandssachverhalten erörtert. Anschließend befasst sich der Aufsatz mit der Anknüpfungsleiter des Art. 11 Rom II-VO, wobei der Schwerpunkt auf dem ersten und dritten Absatz dieser Vorschrift liegt.

Entscheidungsrezensionen

S. Fucks
Die Zustellungsbevollmächtigung von inländischen Schadensregulierungsbeauftragten ausländischer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer 140

Ausgehend von der Entscheidung des OLG Saarbrücken vom 9.2.2010 (4 U 449/09) befasst sich der Beitrag mit der Frage, ob die Klageschrift dem inländischen Schadenregulierungsbeauftragten nach den einschlägigen nationalen Zustellungsvorschriften des Mitgliedstaats des angerufenen Gerichts zugestellt werden kann, wenn ein durch einen Kraftfahrzeugunfall im Ausland Geschädigter gegen einen ausländischen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer Klage erhebt. Die Verfasserin geht zunächst auf Art. 4 der 4. KH-Richtlinie ein, wonach jeder in einem Mitgliedstaat der EU ansässige Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer zur Benennung eines Schadenregulierungsbeauftragten in allen anderen Mitgliedstaaten verpflichtet ist, und definiert dessen Aufgaben bei der Regulierung von Auslandsunfällen. Nach kurzer Darstellung des der Entscheidung des OLG Saarbrücken zugrunde liegenden Sachverhalts diskutiert sie sodann die Entscheidungsgründe des Gerichts. Die Verfasserin kommt zu dem Ergebnis, dass der Schadenregulierungsbeauftragte im Falle des Fehlens einer ausdrücklich erteilten Bevollmächtigung zum Empfang gerichtlicher Schriftstücke wegen der in Art. 4 sowie den Erwägungsgründen der 4. KH-Richtlinie enthaltenen Vorgaben als zustellungsbevollmächtigt i.S.v. § 171 ZPO gilt und die Klage daher nicht nach den Regeln der ZustellVO, wonach insbesondere eine Übersetzung der Klage nebst Anlagen erforderlich ist, ins Ausland zugestellt werden muss. Abschließend skizziert die Verfasserin kurz die Folgen der Entscheidung für die anwaltliche und gerichtliche Praxis.

P. Mankowski
Autoritatives zum „Ausrichten“ unternehmerischer Tätigkeit unter Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO 144

Das Ausrichten einer unternehmerischen Tätigkeit in Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO ist der Schlüsselbegriff für Reichweite und Umfang des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes in Europa. Der EuGH hat ihn nun für den wichtigsten Bereich, den e-commerce, auszufüllen versucht. Dabei misst er der Gemeinsamen Erklärung von Rat und Kommission keine Bedeutung bei. Vielmehr kreiert er einen "test" verschiedener Indizien Damit schafft er gewisse Leitlinien, lässt aber trotzdem einige Unsicherheit. Einige der aufgestellten Indizien verdienen nähere Betrachtung. Dass der Unternehmer sich außerhalb seines eigenen Niederlassungsstaats betätigen will, wird zur Grundlage einer widerleglichen Vermutung, dass er seine Aktivitäten auch auf den Wohnsitzstaat des konkreten Verbrauchervertragspartners ausgerichtet hat. Die im Internationalen Verbraucherschutzrecht entwickelten Maßstäbe lassen sich auch auf das Internationale Lauterkeitsrecht übertragen.

Rezensierte Entscheidungen

4 OLG Saarbrücken 09.02.2010 4 U 449/09 Die Zustellungsbevollmächtigung von inländischen Schadensregulierungsbeauftragten ausländischer Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer [S. Fucks, S. 140] 157
5 EuGH 07.12.2010 verb. Rs.C-585/08 und Rs.C-144/09 Autoritatives zum „Ausrichten“ unternehmerischer Tätigkeit und unter Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVVO [P. Mankowski, S. 144] 160
6 Schweiz. BGer. 07.10.2010 5A_36/2010 Internationale Zuständigkeit für provisorische Rechtsöffnung nach LugÜ [M. Stürner, S. 175] 168

Rechtsprechungsübersicht

7 AG Neustrelitz 18.01.2011 6 F 106/09 Eheleute vietnamesischer Staatsangehörigkeit mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland werden nach deutschem Recht geschieden, da das vietnamesische internationale Scheidungsrecht auf deutsches Recht zurückverweist. [HPM] 170

Blick in das Ausland

R. Fialho de Oliveira
Die Zulässigkeit ausschließlicher internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen in Brasilien 170

In Ermangelung einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift, die internationale Gerichtsstandsvereinbarungen und deren Auswirkungen im brasilianischen Recht regelt, muss eine Analyse des Themas unter Berücksichtigung der nationalen rechtlichen Rahmenbedingungen über die internationale Zuständigkeit, das juristische Schrifttum und die Rechtsprechung stattfinden. Was Letztere angeht, verfolgen die Gerichte in Brasilien in den letzten Jahrzehnten verschiedene Ansätze hinsichtlich die Derogationswirkung ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen. Das Fehlen einer klaren Entscheidungslinie in einem für internationale Angelegenheiten so wichtigen Thema ist Ausgangspunkt für Rechtsunsicherheit. Die jüngste Entscheidung des Superior Tribunal de Justiça führt zu einer kurzen Analyse des Themas in der folgenden Besprechung.

M. Stürner
Internationale Zuständigkeit für provisorische Rechtsöffnung nach LugÜ 175

Nach Art. 22 Nr. 5 EuGVVO/LugÜ II besteht eine ausschließliche internationale Zuständigkeit der Gerichte des Vollstreckungsstaates für Verfahren, die die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen zum Gegenstand haben. Das System der Zuständigkeiten in EuGVVO/LugÜ II geht davon aus, dass ein Verfahren – aus autonomer Sicht – entweder Erkenntnisverfahren ist oder Zwangsvollstreckung. Angesichts der Vielgestaltigkeit der einzelnen Vollstreckungsverfahren und der vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe lässt sich diese Abgrenzung aber oftmals nur unter Schwierigkeiten durchführen. Der zu besprechende Entscheid des schweizerischen Bundesgerichts vom 7. Oktober 2010 betraf die zuständigkeitsrechtliche Beurteilung der provisorischen Rechtsöffnung auf der Grundlage des LugÜ. Dabei handelt es sich um eine Art Vorverfahren, das der eigentlichen Zwangsvollstreckung vorgeschaltet ist. Für das Bundesgericht fällt dieses Verfahren dennoch unter den Gerichtsstand der Zwangsvollstreckung – eine Entscheidung, die kritikwürdig erscheint.

B. Kasolowsky/M. Steup
Umfang und Grenzen der Kompetenz-Kompetenz von Schiedsgerichten 179

Die von den Schiedsrichtern auf Grundlage ihrer Kompetenz-Kompetenz getroffene Entscheidung über das Bestehen einer wirksamen Schiedsvereinbarung ist von den staatlichen Gerichten im Rahmen von Aufhebungs- sowie Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren in gleichem Maße vollumfänglich überprüfbar. Auch an die Tatsachenfeststellungen des Schiedsgerichts sind die staatlichen Gerichte nicht gebunden. Das bestätigten kürzlich der UK Supreme Court und die Pariser Cour d’appel in Dallah v. Pakistan. Hinter dem in allen als schiedsfreundlich bezeichneten Jurisdiktionen verankerten Grundsatz der Kompetenz-Kompetenz verbirgt sich nach den Entscheidungen in Dallah v. Pakistan damit nicht mehr als ein Prioritätsprinzip.

D. Diehl
Keine Anwendbarkeit des US-amerikanischen Foreign Sovereign Immunities Act auf amtlich handelnde Individuen – Das Urteil des US Supreme Court in Samantar v. Yousuf 183

Der Foreign Sovereign Immunities Act und das Alien Tort Statute sind die beiden Hauptgrundpfeiler der US-amerikanischen Human Rights Litigation, die Klagen von Individuen wegen schweren Völkerrechtsverletzungen vor US-Gerichten ermöglicht. Während fremde Staaten nur nach den Vorschriften des Foreign Sovereign Immunites Act verklagt werden können, üben die Gerichte bei Klagen gegen ausländische Individuen ihre Gerichtsbarkeit auf der Grundlage des Alien Tort Statute aus. Dieses darf nach der Rechtsprechung jedoch nur dann angewendet werden, wenn der Foreign Sovereign Immunities Act auf den konkreten Fall keine Anwendung findet. Da der Foreign Sovereign Immunities Act keine explizite Regelung in Bezug auf Individuen beinhaltet, mussten sich die Gerichte regelmäßig mit der Frage auseinandersetzen, ob diese im Falle amtlichen Handelns unmittelbar unter den Begriff des Staates (28 U.S.C. § 1603 (a)) oder den der „agency or instrumentality of a foreign state“ (28 U.S.C. § 1603 (b)) subsumiert werden können. Seit der Entscheidung in Chuidian v. Philippine National Bank folgten die Gerichte regelmäßig letzterer Interpretation. Da sich diese in letzter Zeit jedoch zunehmender Kritik ausgesetzt sah, musste sich nun der Supreme Court in der Rechtssache Samantar v. Yousuf mit der Problematik auseinandersetzen. Dieser entschied entgegen der bisherigen Rechtsprechung, dass Individuen aufgrund des Wortlauts und der Systematik des Foreign Sovereign Immunities Act nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen. Stattdessen werde ihre Immunität ausschließlich durch das (federal) common law geregelt. Während die Gerichte bislang ihre Rechtsprechung zur Eigenhaftung US-amerikanischer Staatsbediensteter auf die Immunität fremder Individuen übertrugen, werden sie die Immunität von Individuen für amtliches Handeln nach der Samantar-Entscheidung in Zukunft voraussichtlich mit Hilfe des Völkergewohnheitsrechts bestimmen müssen. Dies könnte gravierende Auswirkungen auf die Human Rights Litigation in den Vereinigten Staaten haben, die in dem vorliegenden Beitrag erläutert werden.

F. Sturm
Schweizer Familiengut in Liechtensteiner Stiftungshut 188

Eine in Liechtenstein gegründete Familienstiftung, die in Genf ein Konto eröffnet hatte, wurde von einem Direktionsmitglied dieser Bank regelrecht ausgeplündert. Die Bank verweigerte Schadenersatz mit der Begründung, die Familienstiftung sei gar nicht existent. Ihre Errichtung verstoße nämlich gegen den Schweizer ordre public. Familienstiftungen seien nach Art. 335 ZGB verboten. Diese Sicht verwirft das Bundesgericht in seinem Urteil vom 17. 11. 2009, BGE 135 III 614 ff. Der Schweizer ordre public ist nicht verletzt.

H. Krüger
Zum auf Schiffspfandrechte anzuwendenden Recht in der Türkei 190
C.-J. Malmqvist
Die Qualifikation der Brautgabe im schwedischen IPR 191

Schweden und Deutschland sind zwei multikulturelle Staaten mit großen Minoritäten von Muslimen. Diese Situation hat eine bedeutende Einwirkung auf das Rechtssystem, z.B. die Position und Anerkennung verschiedener islamischer Sitten und Rechtsinstitute im schwedischen und deutschen Recht. Ein Beispiel dieser Problematik ist die islamische Brautgabe, der Mahr. Dieser Artikel behandelt die Qualifikation der Brautgabe nach deutschem und schwedischem Recht mit Schwerpunkt auf dem letztgenannten Rechtssystem. Unter anderem werden zwei grundlegende schwedische Gerichtsurteile präsentiert und analysiert und anhand dieser der schwedische Standpunkt bezüglich der Mahr innerhalb des internationalen Privatrechts erklärt

Mitteilungen

K.P. Puszkajler
Aktuelle Fragen der Internationalen Schiedsgerichtsbarkeit - Tagung der Rechtsfakultät der Universität Belgrad 194

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